Comments are off for this post

Wer soll das bezahlen? Wenn eine Krise ausgestanden ist, beginnt der Schuldenabbau, sagt der Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick. Dann werden häufig Ausgaben gekürzt – oder Steuern erhöht.

Die Zeit, April 8th, 2020, by Mark Schieritz.

DIE ZEIT: Mr. Schularick, you are researching economic crises. How bad is this crisis?

Moritz Schularick: The sharpness of the slump that we are now dealing with can only be compared to the global economic crisis of the 1930s. This is an exceptional situation for which there are only limited historical precedents.

ZEIT: The government has opened a huge rescue package. How do you rate that?

Schularick: We reacted very early and very extensively in Germany. The state compensates for part of the loss of income for workers and keeps companies and the self-employed afloat with loans and grants. As in the war, it temporarily controls parts of the economy. I think that’s right, because it can limit the economic damage caused by the pandemic.

ZEIT: In this conversation we want to clarify who has to pay the bill in the end. Where does the money for the rescue come from?

Schularick: The state takes it up on the capital market. To put it simply: He borrows it from his citizens, whose savings are reintroduced into the economic cycle. This then manifests itself in an increase in government debt. We also know from history that in extreme economic situations the central banks increasingly contribute to government financing.

ZEIT: What does that mean?

Schularick: The major central banks are increasingly buying government bonds, including the European Central Bank. The boundaries between monetary policy and fiscal policy are blurring. However, this is currently more relevant for highly indebted countries like Italy, which would probably have to pay higher interest rates without this support.

ZEIT: More than a trillion euros are being mobilized in Germany. Can we afford that?

Schularick: I think so. If we can start up the economy again soon, we should get out of there without major distortions. The prerequisite for this is that the virus does not return – and if it does return, there is a vaccine, medication or suitable protective procedures so that we do not have to close it all soon.

ZEIT: How much will the debt be then?

Schularick: You can’t really estimate that yet. But I would assume that in such a scenario the debt ratio would increase from 60 to maybe 80 or 90 percent of Germany’s economic output. These are values ​​that, according to what we know, are sustainable. After the financial crisis, we were at 82 percent, which we coped well with at the time.

ZEIT: Your colleague Kenneth Rogoff from Harvard University once described 90 percent as a brand from which the economy suffers.

Schularick: I would be careful with such limit values. For example, the interest rate level is crucial. If the interest rate is permanently at zero percent, an extremely high level of debt is also conceivable. The state could simply renew its loans over and over again. If the interest rate is ten percent, things look different.

ZEIT: And where do we stand?

Schularick: At the moment, interest rates are very low in almost all industrialized countries. There are economists – people like Larry Summers in the USA and Carl Christian von Weizsäcker here in Germany – who assume that this will remain the case for a long time to come, because a lot of savings are made worldwide. I think this argument is plausible. In such an environment, we could afford higher debts.

ZEIT: You say: We just let the debt go up, there is no invoice at all?

Schularick: Das ist nicht ganz korrekt. Wenn Zinsen bezahlt werden müssen, belastet das natürlich den Staatsetat. Mein Punkt ist: Die Zinsen sind gerade bei null – und das geliehene Geld muss auch nicht in ein paar Monaten zurückbezahlt werden. Solange das so ist, kommt keine Rechnung. Wenn wir aber die Seuche nicht in den Griff bekommen, haben wir es auch beim Thema Schulden mit anderen Größenordnungen zu tun.

ZEIT: Und dann?

Schularick: Ich würde in einem solchen Fall jedenfalls keinem Politiker empfehlen, die Staatsschuldenquote auf 300 Prozent hochzujagen. Wenn die Zinsen doch einmal wieder steigen, kommt man dann womöglich in Schwierigkeiten. Wir müssten also dafür sorgen, dass der Schuldenstand sich stabilisiert. Das ist historisch betrachtet nichts Ungewöhnliches. Einschneidende Ereignisse wie Kriege oder Naturkatastrophen lassen die Staatsschulden steigen, und wenn der Ausnahmezustand dann vorbei ist, beginnt eine Phase der Konsolidierung: Die Wirtschaft wächst, die Schulden bleiben stabil, und die Schuldenquote sinkt.

ZEIT: Die Regierung fürchtet, dass Sparpakete die Erholung der Wirtschaft gefährden. Sie denkt schon über ein zweites Hilfsprogramm nach.

Schularick: Das halte ich auch für sinnvoll. Der Staat sollte diesen Schock zunächst, so gut es geht, abfedern. Erst wenn es wieder besser läuft, ist die Zeit für mögliche Gegenmaßnahmen.

ZEIT: Dann müssen Ausgaben gekürzt werden?

Schularick: Das ist eine Möglichkeit, aber nicht die einzige. Wir haben in Deutschland angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel einen gewaltigen Investitionsbedarf. Außerdem treffen Ausgabenkürzungen häufig die sozial Schwachen. Deshalb bin ich nicht sicher, ob das als alleinige Anpassungsstrategie so sinnvoll wäre.

ZEIT: Was wäre die Alternative?

Schularick: Aus historischer Sicht ist interessant, dass Gesellschaften im Angesicht großer Krisen zusammenrücken. Man hilft einander, steht für den anderen ein. Diese Momente der Solidarität begründen häufig Umverteilungsprogramme. Nachdem die Briten unter großen Opfern die Nazis bezwungen hatten, konnte man nicht einfach zum alten Klassensystem zurückkehren und führte eine öffentliche Gesundheitsvorsorge ein. In Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein sogenannter Lastenausgleich beschlossen.

ZEIT: Wie hat das funktioniert?

Schularick: Im Prinzip war das eine einmalige Abgabe in Höhe von 50 Prozent auf alle Vermögen, zahlbar in vierteljährlichen Raten über einen Zeitraum von 30 Jahren. Es gab zwar Freibeträge für kleine Vermögen, aber die waren nicht sehr hoch.

ZEIT: Wie sehr hat das die Wirtschaft belastet?

Schularick: Das lässt sich nicht so einfach berechnen. Wir wissen nicht, wie die Entwicklung verlaufen wäre, wenn es den Lastenausgleich nicht gegeben hätte. Was man sagen kann: Nach dem Krieg kam das Wirtschaftswunder, es ging also aufwärts. Geholfen hat wohl, dass die langen Zahlungsfristen die Belastung reduziert haben. Umgerechnet auf ein Jahr, entsprach das einer Vermögensteuer von rund zwei Prozent. Das konnte in aller Regel aus den Kapitalerträgen bezahlt werden, die Substanz wurde nicht angegriffen.

ZEIT: Was hat man mit dem Geld gemacht?

Schularick: Man hat Kriegsflüchtlinge unterstützt oder Haushalte, die ihr Vermögen im Krieg verloren hatten. Wir wissen aus Studien, dass das Wachstumskräfte freigesetzt hat. Da wurde den begünstigten Bevölkerungsgruppen der soziale Aufstieg ermöglicht, sie konnten sich Häuser bauen oder ein Studium beginnen. Der Lastenausgleich hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Deutschland zu Beginn des Nachkriegsbooms eines der egalitärsten Industrieländer weltweit war.

ZEIT: Wäre das auch ein Modell für heute?

Schularick: Man könnte zumindest darüber nachdenken, wenn die Verschuldung tatsächlich Niveaus erreichen sollte, die wir nicht so einfach wegstecken können. Wir haben in einer neuen Studie erstmals umfassend untersucht, wie sich die Vermögen in Deutschland seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt haben. Ergebnis: In den vergangenen 25 Jahren hat die Vermögensungleichheit stark zugenommen. Die obere Hälfte hat ihr Vermögen im letzten Vierteljahrhundert effektiv verdoppelt, das Vermögen der unteren Hälfte stagnierte. Das liegt vor allem daran, dass die Aktienkurse und die Immobilienpreise wegen der niedrigen Zinsen stark gestiegen sind.

ZEIT: An den Börsen ging es jetzt aber abwärts.

Schularick: Am grundsätzlichen Befund ändert das aber nur wenig.

ZEIT: Es gibt eine weitere Möglichkeit, mit hohen Schulden fertigzuwerden: Inflation. Wie groß ist
die Gefahr einer Geldentwertung?

Schularick: In Kriegszeiten kam es immer wieder zu steigenden Preisen. Alle Ressourcen wurden für die Produktion von Kriegsgerät mobilisiert, deshalb wurden andere Waren knapp und teuer. Die Engländer haben nach dem Ersten Weltkrieg versucht, diese Kriegsinflation zurückzudrängen, andere Länder haben sie hingenommen. Ich glaube aber, wir sind heute in einer anderen Situation: Wir sitzen alle zu Hause und können das Geld nicht ausgeben, es fehlt also an Nachfrage. Das wird den Preisauftrieb eher dämpfen als beschleunigen. Meiner Meinung nach müssen wir uns über Inflation auf absehbare Zeit kaum Sorgen machen.

ZEIT: Man könnte aber argumentieren: Es wird zu Knappheiten kommen, weil die Fabriken stillgelegt sind und nichts produziert werden kann. Dadurch steigen die Preise steigen.

Schularick: Wenn die Epidemie eingedämmt ist, können die Bänder schnell wieder anlaufen. Das ist ein großer Unterschied zur Nachkriegszeit. Damals gab es große Zerstörungen, vieles musste wieder aufgebaut werden, was sich in hohen Wachstumsraten niedergeschlagen hat. Das ist heute nicht nötig, und es werden auch nicht alle derzeit untersagten wirtschaftlichen Aktivitäten nachgeholt werden: Wenn mein Friseur wieder aufmacht, lasse ich mir die Haare schneiden, aber nicht dreimal in einer Woche. Einen Teil der Einbußen werden wir insofern nicht wieder aufholen.

ZEIT: Das heißt?

Schularick: I assume that the recovery will be slow – especially since the uncertainty about the further course of the disease is likely to be great. I think a second boom like in the economic miracle is rather unlikely.

Full Article here