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Warum die Regierung plötzlich mehr auf die Top-Ökonomen hört Regierungsvertreter haben den Rat von Ökonomen lange für weitgehend nutzlos gehalten. Doch in der Coronakrise suchen sie ihn regelmäßig. Wie viel Einfluss haben die Wissenschaftler?

Handelsblatt, 04.05.2020, Von Martin Greive & Donata Riedel.

Berlin Mittlerweile ist es fast schon ein Ritual, und doch fiebern Deutschlands Top-Ökonomen jede Woche neu auf diesen Termin hin. Jeden Donnerstag um 17 Uhr schalten sich die führenden deutschen Wirtschaftswissenschaftler mit dem Bundesfinanzministerium per Webex für eineinhalb Stunden zu einer Videokonferenz zusammen. „Für mich ist das der Höhepunkt der Woche“, sagt ein Ökonom. […]

Politik und Ökonomen diskutieren dann über „Coronomics“, die Wirtschaft in Zeiten von Corona: Sind die Rettungsprogramme der Politik für die Wirtschaft praxistauglich? Verschulden sich die Staaten gerade zu stark? Und wie könnten die nächsten Lockerungsschritte aussehen? Das sind die ökonomischen Fragen dieser Zeit. Und die Ökonomen sind in der Diskussion mittendrin, statt nur dabei. […]

Volkswirte wie Clemens Fuest, Marcel Fratzscher oder Jens Südekum bevölkern nicht nur die großen TV-Talkshows und sind täglich in Radio und Zeitungen präsent. Hinter den Kulissen beraten die Ökonomen die Bundesregierung auch bei jedem Krisenschritt. Die Zusammenarbeit ist so eng wie noch nie. Doch wie groß ist ihr Einfluss auf die Politik? Ähnlich wie der von Virologen? Gibt es inzwischen vielleicht sogar eine zu große Nähe? […]

Vorbei scheinen jedenfalls die Zeiten, in denen die Wirtschaftsweisen die Bundesregierung hart angingen und eine „Neujustierung der Wirtschaftspolitik“ verlangten. Umgekehrt ist die Politik weit entfernt von der harschen Kritik an der Ökonomenzunft aus früheren Tagen. […]

Der einstige SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel warf Wirtschaftswissenschaftlern gerne Realitätsblindheit und ordoliberale Gesinnung vor, sie seien eher „Astrologen“ als Ökonomen. Auch der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) lästerte gerne über die sich widersprechenden Ratschläge der Volkswirte und umgab sich im Führungsstab seines Ministeriums lieber mit Juristen. […]

Olaf Scholz sucht schon seit Amtsantritt regelmäßig Austausch mit Ökonomen

Statt sich anzufeinden, arbeiten Politik und Wirtschaftswissenschaft in der Coronakrise nun aber Hand in Hand. Eingefädelt hat den regelmäßigen Austausch Wolfgang Schmidt (SPD), Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. […]

Sein Minister Olaf Scholz (SPD) sucht schon seit Amtsantritt regelmäßig den Austausch mit Ökonomen. Mit einer Runde um den SPD-nahen Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein traf Scholz sich öfters zum Abendessen, auf den Sommerfesten des Ministeriums sah man zuletzt auch etliche Top-Ökonomen ein Bier trinken. Auch Scholz‘ Kabinettskollege Peter Altmaier (CDU) sucht in der Coronakrise den Rat aus der Wissenschaft und lud 18 Spitzenökonomen zum Videogespräch. […]

Der Auslöser für die regelmäßigen Treffen im Finanzministerium war ein Auftritt von sieben Ökonomen: Peter Bofinger, Sebastian Dullien, Gabriel Felbermayr, Clemens Fuest, Michael Hüther, Jens Südekum und Beatrice Weder di Mauro stellten am 11. März in der Bundespressekonferenz ein Papier zur Rettung der Wirtschaft in der Coronakrise vor. Zwei Tage später saß die Runde bei Scholz im Ministerium und beriet mit der Leitungsebene des Hauses über die Lage. Von da an tagte man regelmäßig. […]

Die sieben Ökonomen bilden den harten Kern, es kommen aber auch andere Volkswirte hinzu wie Jörg Rocholl, Präsident der Hochschule ESMT, Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch oder Isabel Schnabel von der Europäischen Zentralbank. Oft besteht die Runde aus rund 15 Experten, die die gesamte politische Bandbreite abdecken. […]

Die Moderation übernimmt Jakob von Weizsäcker, Leiter der Grundsatzabteilung im Bundesfinanzministerium. Oft schalten sich auch die Staatssekretäre Schmidt und Jörg Kukies dazu, ebenso hochrangige Beamte aus Kanzleramt und Wirtschaftsministerium. […]

In den Runden gibt es immer ein Oberthema. Eine Schaltung zu Beginn der Krise etwa widmete sich der Ausgestaltung von Staatsgarantien für Firmenkredite. In einer anderen referierte die frühere Wirtschaftsweise Weder di Mauro über das Thema Auslandsverschuldung. Vergangenen Donnerstag drehte sich die Diskussion um Wege aus dem Shutdown und über den Unternehmens-Rettungsschirm WSF. […]

 

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