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Interview with Moritz Schularick – Zukunft der Arbeit

Frankfurter Allgemeine Zeitung, August 7, 2015

by Johannes Pennekamp.

„Je größer die technische Umwälzung, desto härter die Widerstände“

Vernichtet der technische Fortschritt Arbeitsplätze? Nein, sagt der Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick im Interview. Nur für bestimmte Berufe wird es schwer.

Herr Schularick, man kann es mit der Angst zu tun bekommen. Neue Techniken könnten jeden zweiten Arbeitsplatz vernichten, prognostizieren Forscher. Sind solche Ängste neu?

Ganz und gar nicht. Solche Ängste gab es schon in der ersten industriellen Revolution nach 1750 in England. Anfang des 19. Jahrhunderts kämpften beispielsweise die Ludditen, englische Textilarbeiter unter der Führung von Ned Ludd, um ihren Status mit dem Argument, dass ihnen die Maschinen die Arbeit wegnähmen. Das waren die ersten „Maschinenstürmer“. Solche Ängste und Proteste begleiteten immer wieder große Umwälzungen, beispielsweise auch in Schlesien, wenn man an den Weberaufstand im 19. Jahrhundert denkt. Marx hat treffend bemerkt, dass im modernen Kapitalismus nichts Bestand hat, sich alles in Luft auflöst. Und je größer die technologischen Innovationen und Umwälzungen waren, desto härter waren auch die Widerstände.

Waren die Ängste in der ersten industriellen Revolution, als sich die Agrar- zur Industriegesellschaft entwickelte, berechtigt?

Zur Arbeitslosigkeit in der Zeit lässt sich nicht viel sagen, sie wurde schlicht nicht gemessen – was ein Indiz dafür ist, dass Arbeitslosigkeit im modernen Sinn noch kein beherrschendes Thema war. Die Menschen haben zu 95 Prozent auf dem Land gelebt, Kartoffeln und Gemüse angebaut und sind damit gerade so über die Runden gekommen. In dem Maße, in dem sich in der Industrie bessere Verdienstmöglichkeiten durch produktivere Arbeit boten, gingen die Menschen dorthin.

Aber bestimmte Tätigkeiten sind in industriellen Revolutionen doch immer wieder überflüssig geworden.

Ja, das ist immer so, bestimmte Berufe werden durch industrielle Revolutionen obsolet. Das war beim Aufkommen der Chemie- und Stahlindustrie im 19. Jahrhundert so und auch im 20. Jahrhundert, als sich die Autos massenhaft verbreiteten. Wer brauchte da noch Kutscher? Auch bei dem nun begonnenen Prozess, der als vierte industrielle Revolution bezeichnet wird, ist das nicht anders.

Also sind unsere Ängste berechtigt?

Nein. Dieses Denkmuster, dass wir durch technischen Fortschritt alle früher oder später arbeitslos werden, kommt immer wieder. Aber es stimmt einfach nicht: Denn wenn wir dank neuer Technologien mehr produzieren können, steigt das Angebot, und die Preise beginnen zu sinken. Gleichzeitig steigt dann die Nachfrage. Das Saysche Gesetz besagt, dass das, was produziert wird, auch konsumiert wird.

Das klingt sehr theoretisch. Haben Sie ein Beispiel für diesen Prozess?

Ja, die Fließbänder in den frühen Ford-Fabriken zeigen das sehr schön. Durch die Arbeitsteilung stieg die Effizienz, und jeder Mechaniker, konnte je Kopf gerechnet, in kürzerer Zeit mehr Autos herstellen. Autos wurden günstiger, und mehr Menschen wollten sie besitzen und konnten sie sich leisten. Plötzlich brauchte man mehr Werkstätten, Reifenwechsler, Verkehrspolizisten, Straßenbauarbeiter und so weiter. Es entstehen dann auch neue Tätigkeitsfelder, von denen wir zuvor noch gar nichts geahnt haben. Natürlich ist der Umbruch für einzelne Berufsgruppen problematisch und mit sozialen Härten verbunden – aber am Ende profitiert die Gesamtwirtschaft. Darum bin ich auch jetzt sehr zuversichtlich.

Woran liegt es, dass diese Ängste noch immer bestehen, obwohl es viele solcher Beispiele gibt?

In der Geschichte war es immer wieder so, dass Menschen in Umbruchmomenten der Marktwirtschaft dastanden und sich nicht ausmalen konnten, wie die inhärenten Kräfte von Angebot und Nachfrage wirken werden. Die menschliche Phantasie ist nun mal beschränkt – und die Zukunft kann man nur schwer voraussehen.

Wächst denn die soziale Ungleichheit in industriellen Revolutionen?

Am Anfang des Umbruchs wachsen die Einkommensunterschiede, weil nur eine kleine Anzahl von Beschäftigten in die produktiveren und besser bezahlten Beschäftigungsbereiche wechseln kann. Wenn der Umbruch dann voranschreitet und die Mehrheit der Menschen in der neuen Industrie arbeitet, sinkt die Ungleichheit wieder – auf einem dann höheren durchschnittlichen Einkommensniveau. Die berühmte Kuznets-Kurve, benannt nach dem Wirtschaftsforscher Simon Kuznets, verdeutlicht diesen Zusammenhang.

Eine andere Angst besteht darin, dass in der neuen Industriewelt allein deshalb viele außen vor bleiben, weil sie nicht die nötigen Qualifikationen haben, all die Maschinen zu bedienen. Was lehrt uns hier die Vergangenheit?

Was diese Sorge betrifft, ist die Bildungspolitik gefragt. Dort, wo mehr Qualifikationen – Ökonomen sprechen von Humankapital – gefragt sind, muss der Zugang zu Bildung verbessert werden. In Industrieländern hat man es immer wieder geschafft, das Bildungssystem den neuen Bedürfnissen anzupassen, darum sind es heute Industrieländer. In Deutschland gab es die klassischen Gymnasien, in denen die Schüler Griechisch und Latein gelernt haben. Weil irgendwann auffiel, dass wir viel mehr Ingenieure und Betriebswirte brauchen, die rechnen können, wurden Realgymnasien und Handelsschulen geschaffen. So wie sich die Arbeitswelt verändert hat, hat sich bisher auch immer die Bildungswelt verändert, mit welchen Verzögerungen auch immer.

Im 21. Jahrhundert verändert das Internet alles, den Alltag und in starkem Maße auch die immer vernetztere Industrie. Stecken wir gerade mitten in einer Revolution?

Die vierte industrielle Revolution kennen wir noch nicht so richtig. Wenn ich meine Studenten frage, ob sie lieber auf Strom und fließend Wasser verzichten würden oder auf Facebook, dann ist die Antwort eindeutig. Strom und Wasser sind ihnen wichtiger. Viele Fortschritte sind zudem nur schwer mit Zahlen zu erfassen: Wie bemessen wir den Produktivitätsfortschritt von Skype und die Tatsache, dass wir uns beim Telefonieren jetzt anschauen können? Die Big-Data-Auswertung ist in meinen Augen wirklich revolutionär – aber es bleibt abzuwarten, wofür sie genau genutzt werden wird.