Comments are off for this post

“Die Ökonomen bellen seit 20 Jahren den falschen Baum an”

Süddeutsche Zeitung, 11. November 2018, by Alexander Hagelüken.

Die Gefahr für die Globalisierung kommt von rechts, nicht von links, sagt Forscher Moritz Schularick. Er fordert Geld für Schulen und Straßen.

Moritz Schularick

Wer Moritz Schularick an seinem Bonner Lehrstuhl trifft, findet im Erdgeschoss zufällig Büros der Deutschen Bank. Bei dem Geldhaus fing der Ökonom nach der Uni an, bevor er ein international bekannter Forscher wurde, der sichmit Finanzkrisen genauso beschäftigt wie mit Geldanlage und Populisten.

SZ: Moritz Schularick, die Globalisierung erhöhte denWohlstand insgesamt enorm. Trotzdem scheinen viele Menschen in den Industriestaaten unzufrieden und wählen Rechtspopulisten. Wie erklären Sie das?

Moritz Schularick: Die Globalisierungsgewinne sind unfair verteilt. Deshalb können Populisten das Nationale gegen das Globale wenden. Das geschah auch Ende des 19. Jahrhunderts undin der Wirtschaftskrise vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Parallelen sind gespenstisch. Theresa Mays Satz „Wer sich für einen Weltbürger hält, ist Bürger von nirgendwo“ findet sich ähnlich in einer Rede von Adolf Hitler 1933.

Ich dachte, nur Donald Trump hattejahrelang Hitlerreden auf dem Nachttisch?

Tja.

Ist der Aufstieg der Populisten wirklich nur mit unfairer Verteilung zu erklären?

Natürlich verlieren Menschen auch kulturelle Identifikation, wenn Kohlereviere, Stahlhütten und demnächst vielleicht Autofabriken untergehen. Außerdem führt die Globalisierung dazu, dass Länder stärker Krisen importieren. So wurde 2008 eine US-Immobilienkrise für Europa zum Riesenproblem. Finanzkrisen sind sozusagen die Systemfehler des Kapitalismus, sie stellen seine Eliten bloß, Banker, Manager und Politiker. Als Angela Merkel und Peer Steinbrück im Herbst 2008 vor die Kameratraten, gaben sie zu: Wir haben keine Ahnung, was da gerade passiert. Dasmacht es Populistenleicht, auf die Eliten einzuschlagen. Und sie nutzen dazu Gelegenheiten wie den Zustrom von Migranten 2015.

 

„Es wird immer einen Ökonomen in München geben, der sagt, dass nicht mehr umverteilt werden soll.“

Was schlagen Sie vor?
Die Globalisierungsgewinne gerechter verteilen, so dass der Mann auf der Straße es sehen kann! Der beste Weg ist, den Staat zum Hort der Identifikation zu machen. Das schaffte US-Präsident Roosevelt in der Krise der 30er-Jahre mit dem New Deal. Wenn die Schulen in Ordnung sind, genug Polizei da und Züge pünktlich fahren, können Populisten die Lage nicht schlechtreden. Es ist kein Zufall, dass sie gerade jetzt aufdrehen. Wir haben drei Dekaden neoliberaler Attacken auf den Staat hinter uns. Die Schulen sind nicht in Ordnung, es fehlt an Polizisten und kein Zug fährt pünktlich. Dem Gemeinwesen geht es nicht gut. Die staatlichen Nettoinvestitionen sind seit 20 Jahren negativ …

…weil Konservative seit Ronald Reagan den Staat zum Übel erklären.

Es wird nichtleicht, diese neoliberale Stimmung umzukehren.Man wird es abermüssen, damit sich die Menschen mit dem Gemeinwesen wieder stärker identifizieren, ohne in den Nationalismus abzugleiten.

Zudem verdient jeder Zweite nicht mehr oder sogar weniger als vor 20 Jahren.

Die Mehrheit muss von Steuern und Abgaben entlastet werden. Topverdiener, Unternehmer und Firmenerben können dagegen mehr zahlen. Deutschland braucht endlich eine Diskussion über eine Vermögensteuer ohne Scheuklappen.

Sie erregenmit einer Studie Aufsehen,wonach der Aufstieg der Rechtspopulisten durch die Finanzkrise 2008 begann – wie in der Geschichte bereits oft durch Krisen. Man denkt, die Bürger wählen links, wenn ihnen Banker in die Tasche greifen?

Nach der Krise suchen Wähler Schuldige. Rechte sind besser darin, mit dem Finger zu deuten, etwa auf Fremde, das Ausland.

Read the full article here