Comments are off for this post

Chimerika im Handelskrieg

Süddeutsche Zeitung, 30. September 2018, by Moritz Schularick.

Trumps Politik zeigt die Verunsicherung eines Landes, das Zweifel am eigenen Erfolgsmodell hat.

Als wir vor gut zehn Jahren den Begriff “Chimerika” prägten, lenkten Niall Ferguson und ich die Aufmerksamkeit auf die ökonomische Abhängigkeit, in der sich China und Amerika befanden. Die beiden geopolitischen Rivalen des 21. Jahrhunderts wuchsen wirtschaftlich in atemberaubendem Tempo zusammen. Der Konsumhunger Amerikas befeuerte das chinesische Exportwachstum. Chinas Sparwut finanzierte die amerikanische Kauflust und hielt die Zinsen niedrig, was Kredite billig und Häuser in Amerika teuer machte. Die Weltwirtschaft brummte, und Chinas Anteil am Welthandel explodierte: “Made in China” war plötzlich überall. [….]

Aber unsere Wortschöpfung Chimerika sollte auch an die Chimäre erinnern, jenes hässliche Fabelwesen aus der griechischen Mythologie, das Löwe, Ziege und Schlange in einem war. Chimerika war keine ökonomische Gleichgewichtsschönheit, sondern eine unansehnliche Kombination aus chinesischer Exportförderung durch Wechselkurspolitik und amerikanischer Verschuldungsfreude. Offen blieb, wer aus der abzusehenden Scheidung als Gewinner hervorgehen würde: die Chinesen, die vom US-Markt abhängig waren, oder die Amerikaner, die chinesisches Geld brauchten. [….]

Heute ist Chimerika im Handelskrieg. Trump hat die Axt an das regelbasierte internationale Handelssystem gelegt, das Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg entworfen und über Jahrzehnte aufgebaut hat. Kurzfristig richtet Trumps Politik nicht nur handelspolitischen Flurschaden an, sondern bringt auch die Weltwirtschaft der nächsten Rezession einen Schritt näher. Die amerikanische Wirtschaft befindet sich im zehnten Jahr der Expansion seit der großen Rezession. Der niedrige Stand der Arbeitslosenquote, die Bewertungen an der Börse, der Risikoappetit bei Fusionen und Übernahmen, der Boom im Kunstmarkt – vieles deutet darauf hin, dass die nächste Rezession nicht mehr weit weg ist. [….]

Langfristig bedeutend ist aber vor allem der Wandel in der amerikanischen China-Politik, der jetzt eingeleitet ist. Washington hat in den letzten zwanzig Jahren darauf gesetzt, dass marktwirtschaftliche Öffnung und Demokratisierung Hand in Hand gehen könnten. Chinas ökonomischer Aufstieg sollte mittelfristig das Land auch demokratischer machen und damit den geopolitischen Wettlauf entschärfen. Dies war die zentrale Annahme amerikanischer Chinapolitik seit Präsident Clinton. Zwar gab es immer wieder warnende Stimmen, die fragten, ob es sinnvoll sei, den einzigen ernst zu nehmenden Rivalen auf der Weltbühne mit ungewissem Ausgang so schnell ökonomisch stark zu machen. Aber sie blieben in der Minderheit. Es war ein selbstbewusstes Amerika, das eine solche China-Politik formulierte. [….]

 

Read the full article here